Aus der Berliner Morgenpost vom 5. Januar 2008:

Foto: Raul und Mathias im Getränkelager von Kaiser'sJeder kann helfen und ein Held sein
Die Aktionsgruppe “Sozialhelden” sucht Mitstreiter für ihre Projekte
Von Adrienne Kömmler

Mut? Selbstbewusstsein? Selbstironie? Humor? Von allem etwas steckt wohl in dem Namen, in dem man im ersten Moment eine Portion selbstherrlichen Eigenlobes vermutet. “Sozialhelden” nennen Raul Krauthausen und sein Cousin Jan Mörsch ihre Aktionsgruppe. “Das ist auch spaßig gemeint. Aber vor allem soll dieser Name Aufmerksamkeit provozieren”, erklären sie. Der Plural deute darauf hin, dass sie ihre Vorhaben “nicht allein durchziehen”.

Seit der Gründung vor vier Jahren hat die Aktionsgruppe so manches soziale Projekt auf die Beine gestellt. “Pfandtastisch helfen” heißt etwa das Programm, dessen Konzept die beiden Studenten jüngst entwickelten und das bereits erfolgreich läuft. Einfach, doch wirkungsvoll ist das Prinzip, das dahintersteckt: Bons von Pfandautomaten werden gesammelt. Das darauf gutgeschriebene Geld geht an soziale Hilfsprojekte. Einen Entwurf für entsprechende Sammelboxen reichten die Sozialhelden, denen diese Idee nach einer Party mit vielen leeren Flaschen kam, vor zwei Jahren bei einem Ideenwettbewerb mit dem Motto “Was fehlt in der Welt” ein. “Wir erhielten dafür den ersten Preis”, sagt Raul Krauthausen stolz, der inzwischen kurz vor dem Abschluss seines Studiums als Werbefachmann steht. Damals sprachen der jetzt 27-Jährige und sein ein Jahr jüngerer Cousin mit Unternehmensberatern und Vereinen, um die Idee umzusetzen. Vergeblich. Bis sich die Berliner Tafel bei ihnen meldete.
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Dieser Verein, der vor allem mit Lebensmittelspenden soziale Not lindert, hat inzwischen 100 der insgesamt 160 Kaisers-Filialen der Stadt mit grünen “Charity-Boxen” ausgestattet. Supermarktkunden entsprechender Filialen finden die Boxen an Pfandflaschen-Automaten. Während Kunden sonst an der Supermarktkasse das Pfandgeld kassieren, soll es damit die Möglichkeit geben, den Bon der Berliner Tafel zu spenden.

Tafel-Mitarbeiter holen sich den errechneten Wert der jeweils gespendeten Bons bei Kaisers-Beschäftigten ab. Sandra Schöngarten, Kassenleiterin in der Charlottenburger Kaisers-Filiale am Theodor-Heuss-Platz, leert die Box täglich. “Die Aktion wird sehr gut angenommen. Richtig hohe Beträge werden gespendet”, sagt sie. Auch die Berliner Tafel ist angesichts der Spendenbereitschaft begeistert. “Der Aufwand, die Boxen zu installieren, hat sich gelohnt”, sagt Mathias Wahler. Laut dem Projektbeauftragten der Berliner Tafel sollen sie deshalb unbefristet weiterhin in beteiligten Supermarkt-Filialen zu finden sein.

Bereits im Vorfeld gab es Hilfsbereitschaft, “Pfandtastisch helfen” umzusetzen. So unterstützte die Neuköllner Aluminium-Firma Lechmann GmbH die Berliner Tafel mit der kostengünstigen Produktion der 100 Boxen. Für deren Montage spendierte der Hornbach-Markt in Berlin-Bohnsdorf Materialen und Gerätschaften. Hilfe wird den Sozialhelden selbst immer wieder zuteil. Besonders Raul Krauthausen braucht häufig persönlich Unterstützung. Denn der junge Mann leidet unter der sogenannten Glasknochenkrankheit (osteogenesis imperfecta) und ist deshalb auf den Rollstuhl angewiesen. Der hindert den aktiven 27-Jährigen nicht daran, ein Projekt nach dem anderen in Angriff zu nehmen. Neben dem Studium gründete er mit Freunden eine Internetagentur. Krauthausen arbeitete als Synchronsprecher und jobbt in der Online-Redaktion eines Radiosenders.

Ehrenamtliches Engagement ist weder für Jan Mörsch noch für Raul Krauthausen Neuland. Letzterer ließ sich im vergangenen Jahr zum Telefonseelsorger ausbilden. Dieser Aufgabe stellt er sich auch, um damit “etwas zurückzugeben”. Das schafft er nicht nur mit enormer Beharrlichkeit, sondern auch mit einer Portion Gelassenheit. Die braucht er, wenn er mit Situationen konfrontiert wird, in denen Leute ihm wegen seines Handicaps rat- und hilflos gegenüberstehen. Etwa angesichts der Kellnerin im Café, die ihm das Mineralwasser so auf den Tisch stellt, dass es der gerade mal hüftgroße Mann von seiner tiefen Sitzstellung aus nicht erreichen kann. Oder bei zahlreichen Hindernissen wie hohen Bordsteinkanten oder Treppen, die als Rolli-Fahrer schier unüberwindbar sind. Und doch scheint so viel Ignoranz Raul Krauthausen eher anzustacheln, als nur zu wurmen. So entstand etwa die BVG-Aktion “BVGeh-Behindert”, bei der er mit 20 anderen Rollstuhlfahrern testete, wie die Berliner Verkehrsbetriebe auf Rollis eingestellt sind. Das Einsteigen in den Bus sei oft nur durch die mitgebrachten Rampen möglich gewesen. Damit sei zumindest ein Nachdenken angeregt worden, sagt Krauthausen.

Mit einem Augenzwinkern reagierten Jan Mörsch und Raul Krauthausen in der Vergangenheit auf die TV-Castingshow “Deutschland sucht den Superstar” und machten daraus die Suche nach dem “Super-Zivi”, der per Radio-Sender gewählt wurde.

Alle Projekte ähneln sich: Sie sind ernst gemeint, ohne dass die Macher sich selbst zu ernst nehmen. Davon zeugen Behindertenwitze, die auf der “raul.de”-Website ebenso zu lesen sind wie unüberlegte Sätze von Mitmenschen.

Wie kommen die Ideen der Sozialhelden zustande? Man müsse manchmal einfach nur “um die Ecke” denken, betonen sie und finden ihr Engagement eher normal als heldenhaft. Eine neue Idee haben die “Sozialhelden” bereits in petto. “Rent a handicap” nennen sie ihr neues Projekt. Krauthausen: “Wenn sich etwa Warteschlangen vor Museen bilden, brauchen Rollstuhlfahrer nicht zu warten, können aber eine Begleitperson mitnehmen.”

Zum Teil sei sogar der Eintritt für den Begleiter frei, fügt er hinzu und schickt die Frage hinterher: “Warum soll nicht auch ein Nicht-Behinderter die Hilfe eines Behinderten in Anspruch nehmen?”